Samstag, 14. Dezember 2013

Einige unserer klassischen Asperger-Hürden im Alltag

Es gibt einige klassische Schwierigkeiten, die uns fast täglich begegnen. Eine davon ist das Erkennen von Gesichtern. Mein Sohn kann Gesichter kaum erkennen. Das ist mir schon sehr früh aufgefallen, als er auf Fotos keine ihm bekannten Personen gezeigt hatte. Er hat aber bemerkenswerte - wenn zumal auch anstrengende - Methoden entwickelt, um diese Lücke zu überbrücken. So orientierte er sich früher an den Hausschuhen seiner Kindergarten-Freunde und mittlerweile kennt er vermutlich die gesamte Kleider-Garderobe seiner Mitschüler auswendig. Ich bin sicher, es gibt noch andere Merkmale, die ihm helfen, immer präziser und sicherer zu werden. Aber welche das sind, weiss ich nicht.

Interessanterweise schwächelt sein sonst gut funktionierendes System genau dann, wenn er in eine für ihn schwierige soziale Situation gerät. Wird er beispielsweise auf dem Pausenhof ausgegrenzt oder legt sich in der Nachmittagsbetreuung ein älteres Kind mit ihm an, so kann er im Nachhinein nicht sagen, wer es war. Anfangs dachte ich an einen Zufall. Doch inzwischen vermute ich, dass seine Aufmerksamkeit durch die ungewohnte und unangenehme Situation so stark beansprucht wird, dass andere Muster, die sonst konstant im Hintergrund laufen, nicht mehr funktionieren.

Eine weitere Eigenheit, die den Alltag oft erschweren, ist sein fehlendes Gespür dafür, wie es emotional im Gegenüber aussieht. Zum Beispiel konnte er mir in einer Seelenruhe etwas (nach meinem Empfinden) Belangloses erzählen, während ich seine kreischende und tobenden Baby-Schwester zu beruhigen versuchte. Dass der Zeitpunkt denkbar schlecht ist und ich 100% meiner Aufmerksamkeit für die Kleine und mich selbst brauche, kam ihm gar nicht in den Sinn. Er hat einzig noch lauter gesprochen, damit ich ihn bei dem Krach auch sicher hören kann ;-).

Zudem fehlt dem Jungen auch der intuitive Umgang mit anderen Menschen. Wann ist Nähe angebracht, wann Distanz – wann Reden, wann Schweigen. Allgemein alle sozialen Verhaltensweisen fehlen ihm fast gänzlich. Er lernt aber sehr schnell und kopiert Muster, die er bei anderen beobachtet. Er wickelt alles, was wir anderen ohne Nachzudenken ganz intuitiv machen, rein über den Verstand ab. Meine Hilfe nimmt er dabei ganz gut an. So hatten wir beispielsweise einmal ein schönes Gespräch übers Traurigsein. Ich habe ihn gefragt, was man tun könnte, wenn jemand traurig ist. Sein Vorschlag war es, etwas Lustiges zu machen, damit der andere wieder lacht. Auf seinem Planet stimmt diese Logik natürlich, ich habe ihm aber einen anderen Ratschlag gegeben: Die Hand auf die Schulter legen und nicht zuviel reden. Einige Wochen später habe ich beobachtet, wie er meinen Ratschlag befolgt hat. Nur leider hatte er die Situation falsch eingeschätzt. Ui, ich muss ihm also nicht nur erklären, wie er in Gegenwart einer traurigen Personen reagieren muss, sondern er muss auch noch lernen überhaupt zu erkennen, dass jemand traurig ist!

1 Kommentar:

  1. Naja, bei Prosopagnosie eignet man sich eben andere Dinge an, anhand derer man Personen mehr oder weniger gut wieder erkennen kann - von der Stimme bis hin zum Gang. Beides fällt bei einem Foto flach, insofern verwundert es nicht, wenn es da dann mit dem wieder erkennen nicht so gut oder auch gar nicht funktioniert. Klamotten können natürlich auch eine Variante sein, sind aber sehr unsicher, weil die sich eben relativ häufig ändert (na gut, Im Kindergarten haben sie immer die gleichen Hausschuhe an), besser sind da noch Haarschnitte oder so, die bleiben wenigstens eine gewisse Zeit identisch. Aber wirklich gut geht es eben mit der Stimme einer Person - so lange diese nicht heiser ist. :o)

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