Sonntag, 15. Dezember 2013

Wie wirkt ein Asperger Kind auf Erwachsene?

Das kann ich natürlich nur von meiner eigenen Warte her beurteilen. Und da ist es so: Erwachsene, die zum ersten Mal mit meinem Sohn zu tun haben, sind entweder verunsichert bis genervt, oder im Gegenteil, beeindruckt bis fasziniert von ihm.
Durch seinen raren Augenkontakt kann man nicht so schnell eine Verbindung zu ihm aufbauen. Er strahlt Neugier und Schüchternheit gleichermassen aus und schafft es – sofern ihm sein Gegenüber sympathisch ist – über die Kommunikation bald eine Brücke zum anderen zu schlagen. Was er aber sagt, ist meist hoch komplex, so dass man mit dem üblichen Kinder-Small-Talk nicht gerüstet ist für ein Gespräch mit ihm.

Manche Erwachsene, die sich mit dem geistigen Level nicht auf den Jungen einschwingen wollen, sind skeptisch oder reagieren verunsichert. Sie können seine Art nicht einordnen. Er wirkt nicht altersentsprechend und formuliert wie ein kleiner Erwachsener mit facettenreichen Begriffen, die man nicht in einem Kinder-Wortschatz erwartet. Auch die Themen, über die er spricht, sind kompliziert.

Mit freundlichen, aber banalen Fragen ("So, gefällt es dir in der Schule?" / "Freust du dich auf den Weihnachtsmann?") kann der Junge gar nichts anfangen und reagiert abweisend, gelangweilt und zuweilen sogar genervt. Das kann sehr unhöflich wirken. Ich selbst sehe schnell, dass mein Sohn den freundlichen SmallTalk als komplette Zeitverschwendung interpretiert und das Gegenüber (die nette Nachbarin, der freundliche Schuhverkäufer, die fürsorgliche Dame im Bus) empfindet ihn wiederum als unhöflich und abgelöscht. Vielleicht könnte es mir gelingen, ihm den Nutzen von freundlichem Wort-Geplänkel via Verstandesebene klar zu machen. Aber ich habe diesen Punkt nicht zuoberst auf meiner Prioritätenliste von Dingen, die er sich für das Leben da draussen aneignen sollte.

Wenn ich ehrlich bin, bin ich selbst wohl die einzige, die ein Problem damit haben könnte, wenn mein Sohn als unhöflich hingestellt wird. Ihm selbst ist es egal. Und das könnte es mir auch sein. Natürlich sind mir aber diejenigen Begegnungen mit Unbekannten, die sofort den Draht zu meinem Sohn finden, wesentlich lieber. Begegnet man ihm auf Augenhöhe (symbolisch, nicht wörtlich gesprochen), führt man mit ihm ein (nach seinen Massstäben gemessen) adäquates Gespräch, am liebsten zu einem seiner Hauptthemen oder erklärt man ihm irgend etwas, das er noch nicht weiss, so verwandelt sich dieser unhöfliche Junge in einen herrlichen Gesprächspartner. Mit freundlichen und schön gewählten Worten erzählt er von seinen Erfahrungen und geduldig hört er jede Fachgeschichte bis zum Schluss und fügt sehr berechtigte Fragen an, um ein Thema abschliessend einordnen zu können. Er zeigt sich zuvorkommend und kooperativ, humorvoll und freundschaftlich - kein Wunder schafft er es, einen Teil der Menschen mit seinem Wesen zu faszinieren.

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