Montag, 30. November 2015

Hörst du mir überhaupt zu?

Ein dialogisches Gespräch mit meiner 4-jährigen Tochter: Sie sitzt da. Mit großen Augen schaut sie mich an. Etwas Erwartungsfrohes liegt darin. Sie ist ganz bei mir und scheint sich über unseren Austausch zu freuen.

Ein dialogisches Gespräch mit meinem 9-jährigen Sohn. Er sitzt vielleicht. Möglicherweise geht er auch ziellos im Raum umher. Kann auch sein, dass er hüpft oder hampelt. Unsere Blicke treffen sich nicht. Ich rede und hoffe inständig, dass etwas vom Gesagten bei ihm ankommt. Gut möglich, dass er - während ich rede - eine Büroklammer sieht und sich überlegt, wie man diese umfunktionieren könnte. "Darf ich die Klammer auseinander biegen?" 
Atmen. Hört er mir überhaupt zu?

Die großen Augen meiner Tochter verfolgen gebannt mein Gesicht. Wenn meine Erzählung lustig wird, lacht sie mir herzhaft entgegen. Und wenn ich eine Sprechpause mache, setzt sie ein und erzählt mir - unterstützt von einer vielseitigen Mimik und Gestik - was sie dazu zu sagen weiß.

Wenn ich - um Aufmerksamkeit buhlend - bei meinem Sohn etwas Lustiges einwerfe, ... Ja, mit Glück kommt ein Schmunzeln. Mit hoher Wahrscheinlichkeit aber kommt ein Kommentar: "ich kenne da auch noch eine lustige Geschichte ... Neulich im Sportunterricht ..." Atmen. Schon wieder vom Thema abgekommen.

Und nachdem meine Tochter ihre Sichtweise aufgezeigt hat, so entsteht oft eine Idee aus dem Dialog. Wir reflektieren nochmals und verbleiben vielleicht mit einem Vorsatz, einer Abmachung, zB eine Woche später das Gespräch noch einmal zu vertiefen oder im Minimum etwas, das dem Dialog ein klares Ende setzt. 

Mein Sohn kommentiert mein Gespräch nicht. Und wenn ich es dann zusammengefasst und selber ein Ende definiert habe, folgt ein kurzes Ja und im gleichen Atemzug sind wir mitten in einer Erzählung über eines seiner Hobbies. Atmen. Ist irgend etwas von dem, worüber ich mich hier austauschen möchte, angekommen?

Perspektiven-Wechsel. Was würde mein Sohn über das Gespräch sagen?
-->> Es war ein interessantes Gespräch, ich habe auch ein paar neuartige Gedanken darin gefunden über die ich gleich parallel nachgedacht habe. Ich weiß, es wird erwartet dass ich etwas beitrage zu einem Gespräch. Ich habe dieses Mal gut reagiert und die lustige Geschichte vom Sportunterricht eingebracht. Die Schlussfolgerung meiner Mutter fand ich logisch und vernünftig. Wir werden das nun mal so versuchen und sie hat gesagt, wir werden nächsten Montag nochmals drüber reden. Das ist gut. Bedeutet, ich muss dann die Hausaufgaben etwas vorziehen damit ich noch genug Zeit für das Gespräch habe.<

Fazit: Ja, er hört zu. Er hört sogar sehr genau zu. Er registriert alles, wird auch alles umsetzen wie besprochen, sofern er die Ideen für gut befindet und er wird mich am Montag garantiert darauf ansprechen. 

Im Grunde also besteht gar kein Problem. Nur eben, dass ein großer Teil der Mitmenschen klare Erwartungen an einen Gesprächsverlauf hat und wenig oder nicht bereit ist, davon abzuweichen. 

Absurd irgendwie. Aber es braucht Lösungen. Und wenn ich schon verstanden habe, dass kein tieferliegendes Problem in der Kommunikation (auch nicht beim Zuhören!) besteht, so finde ich doch Ideen für den Rest. 

Wir haben also fürs erste eine einfache Regel entwickelt:

Mein Sohn muss nur lernen, während des Gesprächs regelmäßig kurze Bestätigungen zu geben. Das sind Floskeln wie: "ah, interessant", "Okay", "verstanden", "gut", "ja". Das hilft mir schon extrem, dass ich weiß, er ist gedanklich bei mir. Aus seiner Perspektive ist das doof. Denn von unnötigen Füllworten (SmallTalk eingeschlossen) hält er gar nichts. Er kann sogar schlechter zuhören, wenn ich das von ihm verlange. Zumindest so lange, bis er die Gewohnheit intus hat. Er lebt auch nach der Devise: solange ich nichts sage, ist alles okay. Dann bin ich einverstanden, dann finde ich deine Ideen gut, dann hab ich dich lieb und dann bist du grossartig. Andernfalls melde ich mich zu Wort. Ein verhängnisvoller Ansatz, aber er empfindet so. und doch: die wenigen Bestätigungs-Silben klären die Hälfte der Probleme rund ums Zuhören. Probleme, die nur meine Probleme sind und auch rein emotional, dennoch gesellschaftlich verankert und deshalb wichtig genug, darüber nachzudenken.

Es gibt noch viele weitere Elemente, die die Kommunikation vereinfachen. Aber es geht nicht darum, die Kinder zu etwas zu erziehen, was sie nicht sind. Es geht mir einzig darum, meinen Sohn so zu rüsten, dass er mit kleinen Hilfsmittel in alltäglichen Situationen besser klarkommt. 

Wichtig für uns Eltern, aber auch Partner und Freunde scheint mir zu verstehen, dass es verschiedene Arten des Zuhörens gibt. Wir wissen es doch: Asperger (auch andere) können oft nicht filtern. Sie hören und sehen alles gleichzeitig, sind mit der Aufmerksamkeit an mehreren Stellen gleichzeitig. Sie hören die spielenden Kinder draußen, den laufenden Fernseher oder das Kochen des Spagettiwassers in der Küche. Vor allem denken sie während eines Gespräches in massiv komplexen Gebilden und wandern - notabene unfreiwillig - in für uns unvorstellbaren Dimensionen von Gedankengängen umher. Und sie hören dennoch zu, was wir sagen. Das alles ist im Grunde schon mehr als genug, was von ihnen abverlangt wird, ohne dass sie sich dem entziehen können. Dann kommen wir noch mit weiteren Anforderungen, die aus ihrer Perspektive mehr nach Schikane wirken: Stillsitzen, Augenkontakt halten, im richtigen Moment die richtige Mimik aufsetzen, bloß keinen der 100 Parallelgedanken aussprechen, freundliche Bestätigungen geben, sich noch höfliche Gegenfragen ausdenken und das Gespräch mit einer ungeschriebenen Floskelregel beenden, damit der andere glücklich ist. 

Kurzum: Ja, (gut überlegte) Erwartungen an das Kind stellen. Aber reduzieren auf das wirklich wichtige!!! Und nur solange es darum geht, dass ein Thema inhaltlich wichtig ist und verstanden werden soll. Blabla darf natürlich sein, es hilft aber, dieses auch gleich als Blabla zu deklarieren. "Das ist jetzt nicht so wichtig aber ich habe Lust, davon zu erzählen ..."

Denn was wir alle kennen: Permanente Aufmerksamkeit klappt nicht. Die kleinen Köpfe brauchen Ruhe zum Entlüften. Sie schalten sonst selbst auf Durchzug, meist bei unwichtig scheinenden Dingen. Der Klassiker bei uns: Vorwärtsmachen am Morgen. Aber darüber schreibe ich ein ander Mal :-).

Schönen Tag allerseits.