Sonntag, 6. April 2014

Der Sonntag Morgen im Eimer.


Asperger-Krisen auszuhalten ist grundsätzlich eine der High-Level-Herausforderungen für alle Eltern, aber muss es denn heute echt schon am frühen Sonntag Morgen los gehen?

Ich bin kaum eine Stunde wach, schon höre ich 2 Dutzend Argumentationen von meinem Sohn, wieso die Welt ungerecht ist und sich bis auf den Letzten alle gegen ihn verschworen hätten.

Er will an seinem iPad spielen, ich bin dagegen. Da höre ich eine äusserst komplexe Berechnung darüber, wie viel Zeit ich nach meinem Feierabend zur freien Verfügung hätte, abzüglich der Zeit, die ich im Verhältnis älter bin als er, gegenübergestellt mit der Zeit, die er selbst zur freien Verfügung hätte. Ahhh mein Kopf!

Das nächste wäre das morgendliche Duschen. Hier wird mir anhand einer detailgetreuen Rechnung über jene Tage, die er zuerst in die Badewanne musste versus jene Tage, an denen seine Schwester die erste war, die grosse ungerechte Welt veranschaulicht. Mein Gott Kind, mach es dir doch nicht selber so schwer!

Eine Schüssel gerüstete Erdbeeren wird der Anlass zum nächsten Unglück. Jetzt in Kombination mit einer Drohung ... wehe wenn die Schwester auch nur eine Erdbeere mehr hat als er. So ein Blödsinn!!! ... aber .... den "Blödsinn" zu erwähnen war eine ganz schlechte Idee ...

Immerhin müsse ich doch wissen, dass Asperger ganz empfindlich seien in Ungerechtigkeiten und überhaupt nicht damit umgehen können, wenn man mit ihnen schimpft ... so die Worte meines 7-jährigen Gegenspielers. Versucht er, mir ein schlechtes Gewissen einzureden? Will er es etwa damit entschuldigen, dass er sich wirklich kompliziert und daneben benimmt? Soll ich ihn zurechtweisen? Oder hole ich ihn erst aus der Krise heraus, in der er sich befindet, und kläre danach die Lage mit einem Gespräch? Vielleicht sollte ich auch einfach für MICH einstehen und mir das nicht gefallen lassen? Immerhin waren es geschätzte 25 Situationen innerhalb kürzester Zeit, die dem Monsieur nicht gepasst haben. Mal bisschen hart durchgreifen vielleicht? Drei Stunden massive Krise in Kauf nehmen? Den Sonntag streichen? Hm. Diese Asperger Kinder machen einen das Leben nicht leicht ... oder ....


... sieht man vielleicht einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr?


Ich hab's dann doch noch begriffen .... ich kämpfe hier nicht gegen die Herausforderung "Asperger"

... sondern gegen einen diesbezüglich stinknormalen, bald 8-Jährigen, der einfach zu spät ins Bett ging. Müüüüüüüüüüüüüüüde ist das Kind, that's it! Ein Mittagschläfchen wirkt wunder!

Man lernt nie aus! :-)


Samstag, 29. März 2014

100 Meter Haare ...

Heute stand ein Besuch beim Coiffeur auf dem Programm. Ich habe nichts weiter dabei gedacht, als ich meinen Sohn während des Frühstücks fragte, wie er seine Haare denn geschnitten haben möchte.

Sein Schweigen und seine Stirnrunzeln brachten mich dazu, etwas genauer hinzuspüren. Und schnell wurde mir bewusst, dass der Junge überfordert ist. Ich hätte es wissen müssen.

Offene Fragen waren schon immer eine Herausforderung für ihn. Der klassische Fragefehler ist: «Was möchtest du trinken?» Früher hat er einfach gezögert oder keine Antwort gegeben. Nicht weil er frech oder unanständig wäre, sondern weil er keine Auswahl bekommen hat. «Willst du Tee oder Wasser?» ... Ja, damit kann er was anfangen.

Inzwischen höre ich auf solche Fragen die klassische Antwort: «Kannst du mir bitte sagen, was es zur Auswahl hat?!».

In Gedanken war ich heute am Frühstückstisch also schon dabei, ihm einige Möglichkeiten für den Haarschnitt aufzuzählen. Da aber sah ich, dass er am Ausbrüten einer Antwort war. Also liess ihm noch etwas Zeit. Da war ich jetzt wirklich gespannt, wie er mir seine Vorstellungen präsentiert ...

... Und das zu Recht. Seine Antwort war so originell, dass ich sie meinen wenigen Lesern hier nicht vorenthalten will:

«Also Mami, gehen wir davon aus, all meine Haare zusammen wären einen Kilometer lang. Dann hätte ich sie gerne 100 Meter kürzer!»


:-)))



Quantität in Pizzaform

Dass Asperger Autisten Aussagen stets wortwörtlich nehmen, ist nichts Neues. Mein Sohn hat dazu aber noch eine richtiggehende Begeisterung für neue Worte oder Redewendungen. Erst will er genau wissen, was die Bedeutung ist und dann, wie es angewendet wird. In den nächsten Tagen hört man dann das aktuell neuste Wort zu jeder möglichen Gelegenheit. Und das wiederholt sich schon seit Jahren. Sein Wortschatz ist die reinste Schatzkiste.

Da ich selber Worte und Wortkreationen liebe, haben sich hierbei natürlich zwei gefunden :-).

Kürzlich, als wir Muffins dekoriert hatten, war er frustriert, weil seine Freundin viel schneller vorwärts gekommen ist. Da habe ich ihm die Sache mit Qualität und Quantität erklärt. Er hat die Infos mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen.

Nun ist er wahrscheinlich der einzige Erstklässler, der mir abends nicht nur gewissenhaft ausrichtet, ob er seine Hausaufgaben erledigt hat, sondern auch in großer Selbstverständlichkeit hinzufügt, ob er den Fokus auf Qualität oder Quantität gelegt hat (in Einzelfällen konkretisiert er es noch mit Prozentangaben).

Und eben haben wir Pizza gekocht. Jeder hat selber vorbereitet, was er drauf haben will. Einen Teil für mich, einen für die Kleine und einen für meinen Sohn.


Ich überlasse es nun meinen LeserInnen zu erraten, welcher Teil meinem Großen gehört und wie er sein "Werk" kommentiert hat :-)



Donnerstag, 16. Januar 2014

Der abendliche Wahnsinn ist ausgebrochen.

Wir sind spät dran heute. Bald schon 19 Uhr und wir sind eben erst in die Garage gefahren, direkt von der Kita. Der Grosse, die Kleine und ich.

Der Grosse folgt den immergleichen Regeln. Schlüssel übernehmen, Tasche umhängen und dann die Treppen des Wohnblocks hochsteigen um oben die Türe zu öffnen.

Mit der Kleinen argumentiere ich noch im Treppenhaus, wie viele Stufen sie alleine hochgehen muss. Sie ist also schon zünftig verstimmt als wir oben ankommen.

"Ich will Schokolade" ist die nächste fixe Idee.

Ich bin am Verräumen der Jacken und Schuhe und gleichzeitig am Einschalten des Herdes.

"Nein, keine Schokolade, es gibt gleich Essen."
Wasser aufkochen, Salat aus dem Kühlschrank.

"Aber ich wiiiiilllll jetzt Schokolade"
"Nein jetzt nicht. Du kannst ein Stück Apfel haben."

Frühstücksschüsseln noch in Spühlmaschine. Nuggets in die Pfanne.
"Neeeeiiiinnn, ich hab jetzt Hunger, will Schokolade."

Teigwaren ins kochende Wasser. Getränke vorbereiten und ein kritischer Blick zum Grossen, der schon brenzlig stark genervt ist vom Geschrei der Schwester. 

"Willst du schon mal was trinken?"
"Schoooookkkooooolaaaaade ..." gleich passierts.

Jetzt – die Sirene heult in vollster Lautstärke los. Das Geschrei erhitzt jede Zelle in mir und meine Vorahnung lässt nicht lange auf sich warten.

Jetzt platzt – wie so oft in solchen Situationen – auch der Geduldsfaden meines Sohnes. Der kann überhaupt nicht umgehen mit dieser lauten Form der Reizüberflutung. Und seit Wochen kann er nicht anders, als mit noch lauterem Geschrei darauf zu reagieren. 

Der Kleinen gibt die (in ihren Augen) furchtbare Provokation noch den Rest und sie schmeisst sich wütend, tobend auf den Boden. Der Grosse weiss nicht wie ihm geschieht und kreischt einfach durch die Gegend.

Ich dazwischen und einmal mehr völlig überfordert. Schreien und schimpfen macht alles nur noch schlimmer. Und stürzt den Grossen zudem in eine seiner heftigen Krisen, die dann mindestens noch eine Stunde andauern. Den Grossen kann ich nicht runterholen während die Kleine weiterschreit und die Kleine hört nicht auf, wenn der Grosse weiter provoziert. Zum Trösten sind beide zu müde und zu hungrig. Und mich kurz zu Regenerationszwecken in eine andere Zeitzone versetzen zu lassen wäre schön, aber leider wenig realistisch. Also stehe ich mal weiter da und konzentriere mich darauf, nicht auszuflippen. Schwierig, schwierig. Atmen! Ruhig atmen.

Der böse Gedanken streift mein Bewusstsein: Jedem ein Stück Schokolade in die Finger und gut ist. Ich kann der Versuchung nur knapp widerstehen.

Minuten später rette ich mich selber. Ich beobachte die Kleine, der langsam die Schrei-Reserven ausgehen. Im goldrichtigen Moment biete ich ihr den Nuggi an und lenke sie mit einer Bagatelle von ihrem Wutanfall ab. Sie lenkt gottseidank ein und bleibt still, was den Grossen schlagartig zum Schweigen bringt.

Uff. Dieser Wahnsinn ist eine echte Herausforderung für mich. Ich weiss, Kinder im Trotzalter schreien nun mal hin und wieder. Und Aspergern platzt fast der Kopf bei so viel Lärm und sie suchen sich Strategien, die dann nicht so leicht wieder auszuschalten sind. Mein Sohn zumindest ist über den Verstand dann nicht erreichbar. Aber denkt denn auch mal jemand an die Mutter mittendrin? Ich bräuchte mindestens jede Woche einen Urlaubstag um stets genügend Energie-Reserven für solche Abende bereit zu haben. Aber woher nehmen wenn nicht stehlen?

Ich suche weiter nach einem bewährten Allerweltsrezept für solche Situationen. 
Und Hunger hab ich immer noch. Nuggets mit abgekratzter Kohlenkruste und Teigwaren à la Pampa sind einfach nicht mein Ding!

Morgen läufts dann (hoffentlich) wieder besser ...

Sonntag, 12. Januar 2014

Einmal bitte in kompliziert ...


Den Abend haben wir auf dem Notfall verbracht. Das war nicht das erste Mal, aber mit Abstand der unkomplizierteste Besuch. Alles ist problemlos verlaufen ... und am Schluss war das ach so gut riechendes Stücklein Stoff aus der Nase meines Sohnes raus.

Er wiederum hat es geschafft, in 2 Stunden 3 Freundschaften zu schliessen. Eine Kinderärztin, ein HNO-Arzt und eine Fachfrau Pflege. Mich hätte es eigentlich gar nicht gebraucht, denn mein Sohn hat sehr selbständig mit den Fachleuten diskutiert, seine vielen Fragen gestellt und sich ganz wohl gefühlt.

Das ist typisch. Um Erwachsene herum fühlt er sich einfach wohl und ist verblüffend aufgeschlossen und nicht zuletzt äussert gesprächig.

Aber davon wollte ich nicht berichten. Gegen Mitternacht waren wir zu Hause.
Die meisten würden davon ausgehen, dass nach so einer Nacht ein ruhiger Sonntagmorgen bevorsteht und sich aus dem Kinderzimmer vor 9 Uhr mit Sicherheit nichts rührt.

Nicht so mein Sohn. Seine innere Uhr ist auf 6 am gestellt und dann geht er - mit ganz wenigen Ausnahmen - jeden Morgen auf. Offensichtlich auch dann, wenn er erst kurz vor Mitternacht die Notaufnahme verlassen hat.

Soweit hat mich das auch nicht weiter überrascht, Mutter ist ja lernfähig und merkt mit der Zeit, dass sich an manchen Dingen nichts rütteln lässt.

Was aber wirklich erwähnenswert ist, sind die Worte meines Sohnes, als er kurz nach 6 Uhr mein Zimmer betritt. Im Wissen, dass ich nicht begeistert sein werde von seinem frühen Aufstehen. Aber noch immer ohne Verständnis für Menschen dieses Planeten, die aus dem Schlaf gerissen höchstens mal 5 Worte am Stück verkraften können. Flüsternd startet er seinen Monolog:

"Also Mami das musst du jetzt mal hören. Bei mir ist das ganz lustig. Ich bin einer dieser Menschen, die dann, wenn sie ganz früh ins Bett gehen, ganz spät aufstehen. Und dann, wenn sie spät ins Bett gehen, dann stehen sie ganz früh auf. Das ist doch ganz speziell. Weil normalerweise würde man doch denken, dass man ganz spät aufsteht, wenn man ganz spät ins Bett geht. Und ganz früh aufgeht, wenn man dann spät ins Bett gegangen ist. Aber bei mir ist das umgekehrt. Ich bin so einer dieser Menschen weisst du ..."

Übersetzt heisst das: "Ich kann nicht mehr schlafen, kann ich aufgehen?"

:-)

Samstag, 11. Januar 2014

Übersetzerin zwischen zwei Sprachen


Heute Nachmittag, während mein Grosser, meine Kleine und ich am See entlang spaziert sind …

Die knapp 3-Jährige zum Grossen: "Wollen wir rennen?"
Mein Grosser denkt, es ist ein Contest, rennt los und hat die Kleine binnen Sekunden abgehängt. Enttäuscht trottet sie zu mir zurück.

Ich rufe den Grossen zu mir und versuche zu erklären: "Weisst du, indem sie dich gefragt hat, hat sie dir ein Freundschaftsangebot gemacht. Sie wollte neben dir rennen. Etwas mit dir machen. Du bist davon gerannt. Sie hat verstanden: Er will nicht mit mir spielen. Er will, dass ich langsam bin und das macht mich traurig.

Er schaut mich mit grossen Augen an. Ganz offensichtlich überrascht es ihn unglaublich, was ich da sage. "Das habe ich aber nicht so gemeint. Sie sagte doch, sie wolle rennen."

Ich: "Ja, sie sagte das, weil sie mit dir etwas machen wollte. Das ist ihre Art zu sagen, dass sie dich mag." Er beharrlich: "Sie hat aber wirklich nur gefragt, ob wir rennen würden."

Ich: "Ich erkläre es dir nur, damit du ihre Sprache verstehen kannst. Ich übersetze ihre Sprache in die Sprache, die auf deinem Planeten gilt." (Er weiss um seine Andersartigkeit und vergleicht es mit dem Planeten Pandorra von Avatar).

Noch eine Weile studiert er. Dann holt die Kleine ihn aus seinen Gedanken …  "Wollen wir jetzt rennen?" Er schenkt mir einer dieser kurzen Augenkontakte, um bestätigt zu bekommen, dass es tatsächlich wieder die gleiche Situation ist. Ich antworte mit einem Lächeln. Er versteht.

So rennen sie gemeinsam los. Er auffällig langsam, damit er seine Schwester nicht überholt. Ich bin jetzt schon ganz gerührt, aber es kommt noch besser.

Kurz darauf sehe ich, wie die Kleine mit fragenden Worten ihre Hand hoch streckt. Und der Grosse greift nach erster Verdatterung danach. Man muss anmerken, dass die beiden eigentlich keinen Draht zueinander haben, weil sie eben oft unterschiedliche "Sprachen" sprechen. So gehen die beiden langsam weiter, bis ich sie aufgeholt habe.

Als ich mit warmem Herz neben ihnen stehe, frage ich, ob das Handgeben die Idee der Kleinen gewesen sei. Die Kleine mit ihrer so unglaublich goldigen Art bringt es mit einem strahlenden Lächeln und einem einzigen Satz auf den Punkt: "Weil er so ein Lieber ist!"

Dem Grossen fallen tausend Groschen: "Ich habe sie verstanden, es funktioniert!"

So gehen die beiden voraus, in Gespräche darüber vertieft, was sie an diesem Tag noch alles gemeinsam spielen könnten … Keiner der anderen Fussgänger hat erahnt, wie tief berührt ich war :-).